Als Kind der 60er Jahre habe ich stets mit Begeisterung Puppenfilme aller Art, allen voran natürlich die Serien der "Augsburger Puppenkiste", gesehen. Leider ging die knappe halbe Stunde, in der sich die Kiste öffnete, immer viel zu schnell vorbei, so daß sich manches Mal leichter Frust bei mir breitmachte. Denn Sender wie KiKa oder SRTL gab es für uns damals noch nicht.
Die "Puppenkiste" wurde am 26. Februar 1948 durch den Schauspieler und Spielleiter der Augsburger Bühne, Walter Oehmichen, als Marionettentheater in der Spitalgasse gegründet. Schon damals war der Andrang zu den Vorstellungen im damals noch arg zerbombten Augsburg so groß, daß sich bald die gesamte Familie Oehmichen dem Puppenspiel widmen konnte. Zu dieser Zeit wurden die Puppen, Dekorationen, Requisiten und sogar die Beleuchtungstechnik fast ausschließlich im Familien- und Freundeskreis gefertigt. Auch eine Wanderbühne gehörte bald zu dem Unternehmen, mit der Tourneen durch Süddeutschland, Österreich und Italien unternommen wurden.
Der große Durchbruch gelang 1951 mit dem Stück "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint- Exupery. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis sich auch das Fernsehen für das Marionettentheater interessierte.
Im Januar 1953 spielte die "Augsburger Puppenkiste", wie sie sich nun nannte, live vor den Kameras des NWDR "Peter und der Wolf". Im gleichen Jahr holte der Regisseur Fritz Umgelter die Puppenkiste zum Hessischen Rundfunk. Am 5. März 1954 erschien erstmals das Markenzeichen der "Kiste" auf dem Bildschirm:
im Abendprogramm lief "Der kleine Prinz".
Von nun an arbeiteten die Augsburger zweigleisig. Etwa 9 Monate im Jahr wurden 350 Vorstellungen gegeben; in den Theaterferien drehte dann der Hessische Rundfunk für das Fernsehen im Foyer des Augsburger Puppentheaters. Das führte den Familienbetrieb, dessen Leitung inzwischen Hannelore Oehmichen und ihr Mann H.-J. Marschall übernommen hatten, oft genug an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit.
Einer Fernsehpremiere gingen jedesmal zahlreiche Arbeiten wie Puppenbau, Proben, Kulissenbau, Malerarbeiten, Sprach- und Musikaufnahmen u.v.m. voraus. Alle damaligen Puppen schnitzte Hannelore Oehmichen bei einer durchschnittlichen Anfertigungsdauer von 50 bis 60 Stunden pro Exemplar noch selbst.
Die Theateraufführungen in der Augsburger Spitalgasse liefen stets unabhängig von den Fernsehproduktionen, da eine Aufführung des "Jim Knopf" oder "Urmel" im Theater rund zwei Tage in Anspruch genommen hätte. Das Fernsehen bot im Vergleich dazu die Möglichkeit weit aufwendigerer Produktionen mit zahlreichen Handlungsorten.
Der Reiz der TV- Umsetzungen erklärte sich nicht nur aus dem ansprechenden Charme der Puppen und den meist sehr guten Drehbuchvorlagen, sondern auch durch die sehr sorgfältig ausgewählte Musik. Zudem wurden die Lieder der "Puppenkiste" nie in einem großen Tonstudio mit entsprechendem technischen Aufwand, sondern live eingespielt. Gerade die dabei entstandenen winzigen Unzulänglichkeiten machten dabei den Reiz dieses Liedgutes aus, das viele der ehemaligen kleinen Zuschauer auch heute noch nachsingen können.
1991 gab das Paar Oehmichen- Marschall die Leitung des Puppentheaters an ihren Sohn Klaus weiter. Er hatte die schwierige Aufgabe, das Unternehmen im Zeitalter von Computer und Internet mit einem Team von 12 Puppenspielern und 4 weiteren Mitarbeitern weiter erfolgreich in die Zukunft zu führen.
Aufstellung der klassischen TV -Umsetzungen der Augsburger Puppenkiste in chronologischer Reihenfolge (bis 1970):
1958 Cenoduxus, 1 Folge
1959 Gullivers Reise nach Lilliput, 1 Folge
1959 Die Schöne und das Biest, 1 Folge
1959 Familie Löffelohr, 1 Folge
1959 Die Muminfamilie (Teil 1), 6 Folgen
1959 Frau Holle, 1 Folge
1959 Wie das Eselchen das Christkind suchte, 1 Folge
1960 Aladin und die Wunderlampe, 1 Folge
1960 Die Muminfamilie (Teil 2), 6 Folgen
1961 Dr. Johannes Faustus, 1 Folge
1961 Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer , 5 Folgen
1962 Der kleine Prinz, 1 Folge
1962 So- Hi und das weiße Pferd, 1 Folge
1962 Jim Knopf und die Wilde 13, 5 Folgen
1963 Der kleine dicke Ritter, 6 Folgen
1963 Klecksi, der Tintenfisch, 1 Folge
1964 Kater Mikesch, 6 Folgen
1965 Die Museumsratten (Teil 1)
1965 Der Löwe ist los, 6 Folgen
1966 Die Museumsratten (Teil 2)
1966 Kommt ein Löwe geflogen, 4 Folgen
1967 Die Museumsratten (Teil 3), 6 Folgen
1967 Der Räuber Hotzenplotz (Teil 1), 1 Folge
1967 Gut gebrüllt, Löwe, 4 Folgen
1968 Bill Bo und seine Kumpane, 4 Folgen
1969 Urmel aus dem Eis, 4 Folgen
1969 Der Räuber Hotzenplotz (Teil 2), 1 Folge
1969 Ich wünsch mir was (mit Hilde Nocker)
1970 Kleiner König Kalle Wirsch, 4 Folgen
Ab 1966 wurde in Farbe gedreht. Eine Neuverfilmung von "Jim Knopf" erfolgte 1976 ebenfalls in Farbe.
In den letzten Jahren wurden fast alle der noch vorhandenen TV- Produktionen als DVD- Editionen verlegt, so daß in dieser Hinsicht keine Wünsche offenbleiben. Daneben gab es passende Fan- Editionen in Blechbüchsen- oder Kistenform, die von Sammlern heute bereits gesucht sind.
Auch auf www. youtube.com finden sich zahlreiche Clips, wobei die derzeitigen Rechteinhaber wohl z.Zt. ein wachsames Auge auf unbefugte Kompletteinstellungen haben.
Sehr sehenswerte Doku von 2013 zum Thema mit deutlichen Worten von Klaus Marschall zur Entwicklung der "Kiste" seit den 90er Jahren: Planet Wissen- Die Augsburger Puppenkiste. Aktuell bei youtube eingestellt.
Die frühen Serien der "Kiste" bieten m.E. einige der schönsten Reminiszenzen an unsere Kindheit und werden von mir auch heute immer noch gerne gesehen
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