Viele Angehörige meiner Generation werden sich noch dunkel daran erinnern, daß das eigentliche Leitmedium der Wirtschaftswunderjahre zweifelsohne das Radio war. Der Rundfunk gehörte in besonderer Weise zum Lebensgefühl der 50er Jahre, die als das "deutsche Radiojahrzehnt" bezeichnet worden sind. Durch familiäre oder freundschaftliche Verhältnisse verbundene Hörergemeinschaften, die über das Medium Radio Musik, Unterhaltungssendungen, Hörspiele und Nachrichten hörten, gehörten zum typischen Charakter dieser Jahre.
Gesucht und gefunden wurde Entspannung nach einem meist arbeitsreichen Tag, Flucht in eine Phantasiewelt angesichts teilweise immer noch zerstörter Städte und eines eklatanten Wohnungsmangels, aber auch Orientierung in einer sich rasch verändernden Welt. Leichte Unterhaltung nahm den größten Teil der Programme ein, doch die Rundfunkanstalten pflegten auch das Hörspiel, und dieses spezielle literarische Genre fand in Persönlichkeiten wie Günter Eich, Ilse Aichinger oder Ingeborg Bachmann eine Schar wichtiger Autoren.
Erst seit den späten 50er Jahren wurde das Radio allmählich als Leitmedium durch das Fernsehen ersetzt, das am Anfang dieses Jahrzehnts noch in den Kinderschuhen steckte. Mitte 1950 wurde die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands, kurz ARD, gegründet, seit 1952 strahlte der Nordwestdeutsche Rundfunk, zunächst auf wenige Stunden begrenzt, ein tägliches Fernsehprogramm aus, und zwei Jahre später begann das gemeinsame Programm der ARD. Besonders beliebt wurden bereits in diesen frühen Fernsehjahren Quiz- und Informationssendungen, so z.B. Peter Frankenfelds Improvisationsshow "1:0 für Sie", Hans Joachim Kulenkampffs "Wer gegen wen ?" oder Robert Lembkes späterer Dauerbrenner "Was bin ich ?".
Bereits seit 1953 gab es sonntags den "Internationalen Frühschoppen" mit Werner Höfer, bei dem in mehr oder weniger weinseliger Runde nationale und internationale Journalisten politische Fragen diskutierten.
Der Versorgungsgrad der bundesdeutschen Haushalte mit Hörfunk und Fernsehen schlug bis in die frühen 60er Jahre noch ganz eindeutig zugunsten des Radios aus. Unsere damalige Kleinfamilie meldete erstmals im Jahre 1959 ein Nordmende TV- Gerät an und gehörte damit zur "ersten großen Welle" von Konsumenten, die sich für den Fernsehempfang entschieden.
Im Jahre 1950 besaßen 46,5 % der bundesdeutschen Haushalte ein Radio, im Jahre 1955 bereits 72,8 % und 1960 waren es 82,9 %. Das entsprach einer Gesamtzahl von fast 16 Millionen angemeldeten Geräten.
Die entsprechenden Zahlen für das Fernsehen waren zunächst nicht zuletzt aufgrund der höheren Anschaffungskosten deutlich verhaltener: 1955 waren es lediglich 0,5 % fernsehnutzende bundesdeutsche Haushalte, im Jahre 1960 dann bereits 17,6% , was einer Nutzung von knapp 3,4 Millionen Fernsehempfängern entsprach. Erst im weiteren Verlauf der 60er Jahre entstanden die gewaltigen Sprünge, die den Versorgungsgrad rapide anstiegen und das Fernsehen allmählich zum Leitmedium werden ließen. Unser zweiter Empfänger der Marke SABA, den mein Vater im November 1966 erwarb und mit dem wir auch das ZDF- Programm empfangen konnten, gehörte in diese Boomphase, die bis 1970 praktisch in eine annähernde Vollversorgung der bundesdeutschen Haushalte mit Fernsehern mündete.
Noch wesentlich stärker als das Radio beeinflußte der Fernseher das Freizeitverhalten der Deutschen, vermittelte nun auch visuell neue, sichtbare Lebensstile und schuf veränderte Wahrnehmungsmuster in der Bevölkerung. Ohne die beschleunigende Wirkung der Massenmedien, insbesondere des Fernsehens, wäre die zunehmende Verwestlichung der bundesdeutschen Gesellschaft in den 50er/ 60er Jahren kaum erklärbar. Dadurch, daß sich die Klassen- zur Massenkultur hin wandelte , veränderte sich die Nachkriegsgesellschaft in soziokultureller Hinsicht wesentlich. Da nun schließlich das "Weltgeschehen" direkt in das Wohnzimmer kam, wurde "Häuslichkeit" gegenüber anderen Formen der Freizeitgestaltung zunehmend attraktiver. Eine Entwicklung, die sozialgeschichtlich gar nicht hoch genug veranschlagt werden kann.
Erwähnt werden soll auch noch, daß vor dem Beginn des Fernsehzeitalters ein letztes Mal die große Stunde des Kinos geschlagen hatte. Von den absoluten Besucherzahlen her war der Höhepunkt im Jahre 1956 erreicht: in den damals 6438 westdeutschen Lichtspielhäusern wurden in diesem Jahr 817,5 Millionen Kinobesucher gezählt. Danach gingen die Besucherzahlen, parallel mit dem allmählichen Durchbruch des Fernsehens, insbesondere in den 60er Jahren teils dramatisch zurück.