Bis zum Zweiten Weltkrieg galt Hannover als städtebaulich sehr gelungen, obwohl sich der Ort bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei entsprechend starker Bevölkerungszunahme von einer eher beschaulichen Residenz- in eine Arbeiterstadt verwandelte. Ab 1943 begann dann die Zeit der großen Bombenangriffe, durch die Hannovers Zentrum weitgehend zerstört wurde.
Planerisch wiedererstanden ist Hannover nach 1945 vor allem durch seinen langjährigen Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht (1910- 1999) , der bundesweit als der bedeutendste Stadtplaner der Nachkriegsära gilt. Bis heute streiten sich die Gemüter darüber, ob Hillebrecht durch den Abriß noch erhaltener alter Bausubstanz Hannover den Rest verpaßt habe oder der Stadt ein neues, modernes Nachkriegsgesicht gegeben hat.
In den letzten Jahren gehörte es beinahe zum guten Ton, Hillebrecht posthum niederzumachen, da er in Hannover den Prototypen einer "autogerechten Stadt" schuf, die heute vielen als nicht mehr zeitgemäß erscheint. Er ließ für die Stadthistorie wichtige, in der Bausubstanz noch weitgehend erhaltene Objekte wie das Friederikenschlößchen, die Wasserkunst oder die Tränenburg dem Erdboden gleichmachen, weil sie seiner Grundidee von einer modernen, aufgelockerten Stadt im Wege standen. Man täte Hillebrecht unrecht, wenn man ihn allein auf seinen Abrißwahn reduzieren würde, obwohl er als Anhänger des "Bauhauses" insbesondere mit den meisten Gründerzeitbauten nichts anzufangen wußte. Als Mitglied des Wiederaufbaustabs besuchte Hillebrecht bereits während des Krieges zahlreiche deutsche Städte nach den teils verheerenden Luftangriffen, so auch Hannover nach der vernichtenden Bombennacht vom 8. auf den 9. Oktober 1943.
Im Juni 1948 wählte ihn der Stadtrat von Hannover zum Stadtbaurat. Hillebrecht warf daraufhin in einer der ersten Ratssitzungen den kompletten Plan zum Wiederaufbau der Stadt über den Haufen und präsentierte seine Idee, eine breite Verkehrsschneise um die Alt- und Innenstadt zu schlagen, den heutigen Cityring, und um die Kernstadt ein Tangentensystem zu errichten, die heutigen Schnellwege wie Westschnellweg, Südschnellweg, Messeschnellweg usf. Wer die Dimensionen der Ideen von Hillebrecht verstehen will und ein wenig hannoverkundig ist, muß wissen, daß bis dahin der komplette Fernverkehr über den Kröpcke und das Steintor lief.
Bei seinem revolutionären Konzept zur Erneuerung der Innenstadt stieß Hillebrecht auf starken Widerstand, da er von rund 1200 Grundstückseigentümern verlangte, "freiwillig" auf einen Teil ihrer Areale zu verzichten. Hier war äußerste Diplomatie gefragt, und Hillebrecht soll zur Durchsetzung seiner Pläne mehr als 600 (!) Gespräche geführt haben. Noch heute zeugen an vielen Stellen der City von Hannover die Grundstückszuschnitte von seinen "Erfolgen", da z.B. in der Fußgängerzone viele der Vorkriegskeller breiter sind als die Nachkriegsbauten darüber, da sich nur so breite Schneisen für die moderne Stadtplanung schlagen ließen.
Im Jahre 1951 fand die Bauaustellung "Constructa" in Hannover statt, für die in der Südstadt als Vorzeigeobjekt der "Constructa- Block" entstand. Hillebrecht glorifizierte diese architektonisch sehr schlichten Bauten nicht, sondern bezeichnete den Wiederaufbau nach 1945 realistisch als "mangelnde Qualität bei aller quantitativen Leistung". Denn in der niedersächsischen Landeshauptstadt fehlten damals tausende Wohnungen, und zu den ausgebombten Hannoveranern kamen zehntausende von Ostvertriebenen, so daß die blanke Wohnungsnot herrschte. Hillebrecht provozierte mit einem besonderen Plakat während der "Constructa", da ihm mißfiel, daß im noch jungen Grundgesetz Privateigentum an Grund und Boden höher gewichtet wurde als die staatliche Stadtplanung, was ihm seine Aufgaben deutlich erschwerte. Bundesweit erhielt der Stadtplaner dagegen Anerkennung, da moderne, offene, verkehrsgerechte Städte im Zuge der beginnenden Massenmotorisierung insbesondere nach amerikanischem Vorbild zu dieser Zeit allgemein als erstrebenswert galten. Die Zeitschrift "Der Spiegel" ließ im Jahre 1959 Hillebrecht mit dem "Wunder von Hannover" sogar eine eigene Titelgeschichte zukommen.
Unter Hillebrecht bauten die bekanntesten Architekten der frühen Nachkriegsjahrzehnte in Hannover. Walter Henn schuf die VGH- Zentrale am Schiffgraben, F.-W. Kraemer entwarf am Maschsee das Funkhaus des NDR, Ernst Zinßer baute mit dem Conti- Gebäude am Königsworther Platz das erste Nachkriegshochhaus in Deutschland , und Heinz Wilke projektierte den Flughafen Langenhagen.
Als großer Verdienst Hillebrechts in Bezug auf historische Bausubstanz darf seine Rettung des Leineschlosses gelten, das zu einem Teil des niedersächsischen Landtags wurde. Der langjährige Stadtbaurat wurde mit Auszeichnungen geradezu überschüttet und erhielt zahlreiche Arbeitsangebote, z.B. aus Berlin, Bonn und Hamburg, blieb aber trotzdem seiner Heimatstadt Hannover treu. Und so bleiben von Hillebrecht zwei Seiten der Nachwelt erhalten. Die eine, die die Ruine der Nikolaikapelle an der Goseriede (das älteste Gebäude der Innenstadt) abreißen wollte, was nur teilweise gelang, und die andere, die mit unermüdlicher Energie dem Hannover der Nachkriegszeit ein neues Gesicht gegeben und so den Aufbruch in die Nachkriegsmoderne geprägt hat. Hillebrecht handelte bisweilen städtebaulich ohne Rücksicht auf Verluste, war aber gelegentlich doch zu tieferen Einsichten fähig. Er formte die werdende Messestadt als aufstrebenden Wirtschaftsstandort mit Größen wie VW, Conti und Hanomag nach seinen Prinzipien: aufgelockert, mit guter Infrastruktur und klarer Gliederung. Doch als er feststellte, daß vielen Bürgern die neue Stadt zu kalt und gesichtslos wurde, ließ er in der weitgehend zerstörten Altstadt Fachwerkhäuser zu einer neuen Traditionsinsel aufbauen, um den mittelalterlichen Kern wieder erlebbar zu machen.
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