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    Donnerstag, 11. Juli 2024, 15:39

    Glashüttenplatz und Zeche Alte Haase - Meine Jahre in der Wiege des Ruhrbergbaus

    Im Jahre 1973 zog ich zwangsläufig aus meiner rheinischen Geburtsstadt Hilden in das westfälische Sprockhövel- Haßlinghausen, da mein Vater dort wohnte und gemeinsam mit seinen Brüdern ein Unternehmen für Industriebeschichtungen und -lackierungen betrieb. Zwar konnte ich dem kleinen Ort damals nicht allzu viel abgewinnen, da ich überwiegend im benachbarten Wuppertal lebte, lernte und arbeitete, jedoch erfuhr ich bereits damals, daß es sich hierbei um die "Wiege des Ruhrbergbaus" handelte, von der aus ein Teil der Industrialisierung Deutschlands im 19. Jahrhunderts seinen Anfang nahm. Erst später begann ich, mich mit der Geschichte dieser Region näher zu befassen, und davon soll in diesem Beitrag die Rede sein.
    Eine erste Gewinnung von Steinkohle und Eisenstein sowie deren Verhüttung im Raum Sprockhövel läßt sich anhand archäologischer Funde bereits für das Mittelalter belegen. In den Bergen südlich der Ruhr, wo die Flöze teilweise bis an die Oberfläche treten, steht unzweifelhaft die Wiege des Ruhrbergbaues. In den Wäldern rund um Sprockhövel sind noch heute zahlreiche Spuren aus dieser Zeit zu entdecken, so verdeutlichen Pingen (Vertiefungen) und alte Halden mit Resten von Feinkohle und Eisenschlacke eindrucksvoll, daß dieses Areal streckenweise regelrecht nach Bodenschätzen durchpflügt worden ist. Auch verdeutlichen einige auch heute noch erhaltene Teile von Hohlwegen ein lebhaftes Transportwesen dieser Jahrhunderte. Dennoch scheiterte ein geregelter und professioneller Abbau von Steinkohle über viele Jahrzehnte an mangelndem Interesse, an fehlenden Kenntnissen der Gewerke und an unzureichender staatlicher Unterstützung.
    Die frühen Zechen dieser Region kann man sich nicht klein genug vorstellen. So zählte die Zeche "Glückauf" in Gennebreck im Jahre 1737 mit siebzehn(!) Beschäftigten zu den größten der preußischen Grafschaft Mark, zu der auch Sprockhövel gehörte. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert blühte dann auch die Kleineisenfabrikation allmählich auf. Allerdings verloren die zünftisch organisierten Schmiede und Kunsthandwerker dieser Region nach der Einführung der Gewerbefreiheit in Preußen und durch die darauffolgende Industrialisierung im Laufe des 19. Jahrhunderts relativ rasch ihre herausragende Bedeutung im eisenverarbeitenden Gewerbe.
    Das Wirtschaftsleben Sprockhövels wurde neben der noch immer dominierenden Landwirtschaft im 19. Jahrhundert zunehmend durch den Bergbau und das Kohletransportwesen geprägt. Hinzu kamen zahlreiche Steinbruchbetriebe, Schmieden und auch einige Schnapsbrennereien. Besonders in der Gemeinde Gennebreck war darüber hinaus die Bandweberei noch sehr verbreitet. Hauptabnehmer dieser Produkte waren vorwiegend die Unternehmen des benachbarten Bergischen Landes. So galt die auch von mir vielbefahrene "Wittener Hauptkohlenstaße" (heute Wittener Straße) durch Hiddinghausen und Haßlinghausen um 1920 als der meistbefahrenste Weg in der gesamten Grafschaft Mark. Mit dem Siegeszug der Eisenbahn, die das Sprockhöveler Gebiet zunächst nicht tangierte, geriet die Wirtschaft dieser Region ab den 1830er Jahren jedoch zunächst immer mehr ins Abseits, und nur langsam erholten sich die einzelnen Gemeinden von dieser Krise. Die Entdeckung von Kohleneisenstein im Raum Sprockhövel führte ab ca. 1850 zur Gründung zahlreicher Eisensteinzechen, die für mehrere Jahrzehnte den Bergbaubetrieb stark belebten. Die 1854 gegründete Haßlinghauser Hütte, auf deren ehemaligem Areal ich zwischen 1977 und 1980 gewohnt habe, war mit der damals modernsten Technologie ausgestattet und beschäftigte beachtliche 180 Arbeiter. Das Hüttenwerk, das bald zum Aktienverein Neuschottland und ab 1872 zur Dortmunder Union gehörte, wurde im Zuge der Gründerzeitkrise im Jahre 1875 stillgelegt und zwang zahlreiche Haßlinghauser Familien zur Abwanderung.
    Einen Eisenbahnanschluß erhielt Sprockhövel erst relativ spät. Im Jahre 1884 wurde die Strecke Wichlinghausen (heute Teil Wuppertals) - Hattingen über Gennebreck und Sprockhövel eröffnet sowie 1889 die Nebenlinie Schee- Silschede über Haßlinghausen und Hiddinghausen. Nun gingen die Zechen allmählich zum Tiefbau über und konnten Produktion und Absatz somit erheblich steigern. Allerdings geriet der Bergbau, der ab 1865 weitgehend dem "freien Spiel der Kräfte" unterlag, in Sprockhövel wegen der günstigeren Abbaubedingungen nördlich der Ruhr nun zunehmend ins Hintertreffen.
    Fachkundige Bergleute und Schmiede sowie tüchtige Ingenieure begründeten zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Sprockhöveler Maschinenbau.Speziell die Bergbauzulieferindustrie hatte durch ihre Produkte den Namen Sprockhövels bekannt gemacht. Im Jahre 1924 traf dagegen die Schließung der "Südrandzechen" des Ruhrgebiets die Region um Sprockhövel besonders hart. Da sämtliche Zechen der Gewerkschaft "Deutschland" stillgelegt wurden, kam damit der Bergbau im Raum Gennebreck/ Haßlinghausen praktisch zum Erliegen, wogegen die Schließung der Zeche "Alte Haase" in Niederstüter durch den Erwerber VEW über viele Jahrzehnte rückgängig gemacht werden konnte, so daß hier ca. tausend Arbeitsplätz erhalten blieben.
    In den frühen Nachkriegsjahren erlebte der Bergbau zunächst wieder eine ungeahnte Blüte. Kleine und Kleinstzechen schossen aus dem Boden, um die große Nachfrage nach Steinkohle für den Hausbrand und die Industrie zu befriedigen. Gegen Mitte der 60er Jahre verschwanden die Kleinzechen jedoch weitgehend wieder, bedingt vor allem durch den allmählichen Siegeszug des Erdöls. Als letzte aktiv betriebene Zeche in Sprockhövel schloß "Alte Haase" im Jahre 1969 endgültig seine Tore.
    Die Gemeinden des Amtes Haßlinghausen, ein Teil der Gemeinde Bredenscheid- Stüter und die Gemeinde Sprockhövel im Amt Blankenstein vereinigten sich im Zuge der Kommunalen Neuordnung im Jahre 1970 zur Stadt Sprockhövel. Eine gemeinsame "Sprockhöveler Identität" hat es, wie bei vielen Samtgemeinden, bis heute noch immer ein wenig schwer. Der besondere Charakter dieser Region trägt jedoch zur Vielfalt und Offenheit einer Gemeinde bei, die ein Bindeglied zwischen Sauerland und dem Ruhrgebiet sowie zwischen dem Bergischen Land und dem westfälischen Landesteil bleiben wird.

    www.youtube.com/watch?v=gLdLYlgtMec
    www.youtube.com/watch?v=asvTBhJLc2k

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    Freitag, 12. Juli 2024, 15:52

    Der Glashüttenplatz in Haßlinghausen - Vergessenes Zentrum eines Straßendorfes ?!

    Wie bereits erwähnt, zog ich 1973 nach Haßlinghausen und wohnte zunächst mit meinem alten Herrn bis Ende 1976 in einer Mietwohnung (Am Susewind 8 ), machte in diesem Sommer auch meinen allgemeinbildenden Schulabschluß, gefolgt von einer Radtour bis an die dänische Grenze und wieder zurück. Da ich anschließend, abgesehen von einem vorübergehenden Job auf einem Schrottplatz in Sprockhövel, bis April 1977 beschäftigungslos war, schlug ich meinem Vater vor, doch zwecks Mietersparnis in das ehemalige Bürogebäude auf dem Glashüttenplatz zu ziehen, das damals zur Firma BELACK meiner Familie gehörte. Dort bezog ich das ehemalige Pförtnerstübchen, renovierte dieses und absolvierte zwischen 1977 und 1979 meine Berufsausbildung in Wichlinghausen. Zwar wußte ich in etwa, daß es sich bei diesem weitläufigen Areal um ein Objekt aus der Frühzeit der Industrialisierung in Deutschland handelte, genauere Kenntnisse erlangte ich jedoch erst bei Sondierungen und eher zufallsbedingten "Grabungen" auf dem Gelände, bei denen wir u.a. auf Fundamente von ehemaligen Ofenanlagen stießen. Im Zufahrtsbereich befand sich damals noch ein wuchtiges schmiedeeisernes Eingangstor aus dem 19. Jahrhundert, das schon bessere Zeiten gesehen hatte und mittlerweile aus den Angeln gefallen, verrostet und von Unkraut überwuchert war.
    Was spielte sich nun auf dem Glashüttenplatz im 19. und 20. Jahrhundert ab ? Mittlerweile befindet sich auf dem weitläufigen Areal zumindest eine Informationstafel, die den eher unscheinbar daherkommenden Glashüttenplatz als "verborgenes Juwel der Industriegeschichte" bezeichnet. Wie der Name des Areals vermuten läßt, war der Glashüttenplatz zwischen 1891 und 1964 Standort des größten Haßlinghausener Arbeitgebers, eines Unternehmens, das von dem Lüdenscheider Kaufmann Julius Kugel gegründet wurde und über siebzig Jahre lang Glaskolben, Biergläser, hitzebeständige Spezialgläser sowie die charakteristischen türkisgoldenen Parfümflaschen für den Kölner Duftwasserhersteller 4711 produzierte. Bei Begehungen der weitläufigen Kelleranlagen fanden wir in den 70er Jahren keine dieser Flakons mehr, jedoch noch einige Pakete mit relativ unscheinbaren Trinkgläsern ohne Aufdruck. Erich Bühren, Mitglied des Haßlinghauser Heimat- und Geschichtsvereins, erklärte dazu, daß die Firma 4711 zeitweise der größte Kunde dieser Glashütte war. In der Heimatstube des HGV finden sich neben anderen Exponaten auch eine Reihe von Objekten der Haßlinghauser Glasbläserkunst aus dieser Zeit. Der letzte Besitzer der Glashütte war ein gewisser Bodo Steph, der das Unternehmen im Jahre 1961 von seinem verstorbenen Vater Wilhelm übernommen hatte. Die Unternehmerfamilie Steph lebte auf der anderen Straßenseite etwas weiter unterhalb in einer Villa nebst dazugehörendem Park. Doch als im Jahre 1964 die Produktion wegen mangelnder Rentabilität eingestellt wurde, da viele Behälter zunehmend aus Plastik hergestellt wurden und auch das halbmechanische Produktionssystem sich als nicht mehr zeitgemäß erwies, wurde die Villa der Stephs zu einem Restaurant und Hotel umgebaut, und der Park wich einer Wohnsiedlung. Infolge mußten sich zahlreiche Glasbläser und Facharbeiter dieses Unternehmens neue Jobs in anderen Bereichen suchen und verließen nicht selten mit ihren Familien die Stadt. 1965 siedelte sich dort neben einem Getränkevertrieb u.a. die Firma BELACK (Gesellschaft für Beschichtungen und Industrielackierungen) an, die bis zum Verkauf des Unternehmens im Jahre 1993 von meinem Vater und seinen beiden Brüdern geleitet wurde. Die Baulichkeiten hatten zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich bessere Zeiten gesehen und wiesen einen relativ hohen Sanierungsbedarf auf, so daß zumindest ein Teil der Fassaden um 1970 von der Firma BELACK mit Aluminiumprofilen versehen wurde, wie sie auch bei Fassadenverkleidungen der Ruhr- Universität Bochum Verwendung gefunden hatten.
    Die Geschichte des Glashüttenplatzes ist jedoch noch etwas älter. So war auf dem Gelände zunächst zwischen 1855 und 1875 die Eisenhütte Haßlinghausen in Betrieb, und dort befand sich auch der Standort einer Brikettfabrik, die dort bis zur Schließung der "Südrandzechen" des Ruhrgebiets zwischen 1910 und 1924 produzierte, sowie daneben ebenfalls die Kokerei der Zeche "Deutschland". Inwieweit die Eisengießerei Haßlinghausen im Jahre 1875 aufgrund der Gründerzeitkrise oder wegen Wassermangels den Betrieb einstellen mußte, wird bis heute umstritten diskutiert. Bereits in der dritten Generation arbeitet dagegen auch heute noch die Firma "Isola" Mineralwollewerke auf diesem Areal.
    Darüber hinaus diente der Glashüttenplatz über viele Jahre der Gemeinde sowohl als Marktplatz sowie als Zirkus- und Kirmesplatz von Haßlinghausen. Bis in die frühen 60er Jahre traf man sich dort auch zu Veranstaltungen anläßlich des 1. Mai, und nach den Kundgebungen ging es mit der Kapelle des Löschzugs Haßlinghausen bis zur Gaststätte Julius Müggenburg. Die Erinnerung an den für die Entwicklung der Kommune wichtigen Ort wird unter anderem auch von Jürgen Nath aufrechterhalten, der den Platz bei seinen Stadtrundfahrten regelmäßig ansteuert.
    Ich selbst verließ den Glashüttenplatz endgültig im Herbst 1980, da ich zwecks Studium nach Hannover umzog, und das alte Bürogebäude nebst Werkstatt, in dem sich damals noch einiges an ausrangiertem Gründerzeitinventar befunden hatte, wurde meines Wissens im Anschluß von einem technischen Mitarbeiter der Fa. BELACK bewohnt.

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    Samstag, 13. Juli 2024, 15:43

    Über die Geschichte der Eisengießerei in Haßlinghausen

    Die Gründung der Haßlinghauser Hütte, die sich auf dem Gelände des späteren Glashüttenplatzes befand, fand vor dem Hintergrund des Wirtschaftsaufschwunges in vielen deutschen Bundesstaaten statt, der um 1852/53 eingesetzt hatte und die Industrialisierung rasant beschleunigte. Der Beginn der Industrialisierung im preußischen Westfalen und in der ebenfalls preußischen Rheinprovinz war vor allem gekennzeichnet durch das um 1850 bereits beachtlich entwickelte Eisenbahnnetz und einen u.a. durch die starke Bevölkerungszunahme wachsenden Eisenbedarf. Damit einher ging eine steigende Bereitschaft zu Kapitalanlagen in der aufstrebenden Montanindustrie dieser Jahre.
    Unter diesen Rahmenbedingungen entstand eine ganze Anzahl von frühen Hüttenwerken, so 1852 der "Hörder Bergwerks- und Hüttenverein" in (Dortmund-) Hörde sowie der "Bergwerksverein Friedrich Wilhelms- Hütte" in Mülheim/ Ruhr. Während diese und andere Unternehmen als Aktiengesellschaften gegründet wurden, entstand z.B. die Henrichshütte in Bruch bei Hattingen 1854 als Einzelkapitalgründung der Familie Stolberg- Wernigerode. Bereits 1857 wurde dieses Unternehmen jedoch wegen Kapitalmangels an die Berliner Discontogesellschaft, eine der größten deutschen Banken dieser Zeit, verkauft.
    Die Haßlinghauser Hütte dagegen firmierte zunächst als "Gewerkschaft v. Born, Lehrkind & Co.", ein eher mittelständisch strukturiertes Unternehmen, das im November 1855 den ersten Hochofen in Haßlinghausen in Betrieb nahm. Der aus Lünen stammende Grundbesitzer und Kaufmann Wilhelm von Born war bis dahin eher spekulativ an der Industrialisierung des Ruhrgebiets beteiligt. Dagegen war der Hüttengründer Gustav Lehrkind aus (Hagen-) Haspe in der Branche kein unbeschriebenes Blatt, hatte er doch bereits an Verfahren zur Eisenveredlung mitgewirkt und dadurch internationale Reputation erlangt. Sein Betrieb in Haspe (Falkenroth, Lehrkind & Co.) hatte 1851 auf der Londoner Weltausstellung den Ersten Preis für das in seinem Betrieb entwickelte "Puddelstahl- Verfahren" erhalten.
    Bei keiner anderen Hüttengründung der 1850er Jahre im westlichen Westfalen waren, mit Ausnahme der damals noch fehlenden Eisenbahnanbindung, die Standortbedingungen so gut wie in Haßlinghausen. Anfang der 1850er Jahre waren im Raum zwischen Hattingen und Haßlinghausen ergiebige Eisenerzlager zwischen den Steinkohleflözen entdeckt worden, so daß sowohl Kohle als auch Erz direkt auf dem Haßlinghauser Hüttengelände zu Tage gefördert werden konnten. Allerdings stand die Eisenhütte Haßlinghausen im Vergleich zu anderen vergleichbaren Hüttenwerken nicht in unmittelbarer Nähe eines Gewässers, sondern an der Flanke eines Höhenrückens, so daß es von Anfang an Probleme mit dem enormen Wasserverbrauch der Hochöfen und bei der Koksherstellung gab. Auch an die weitere Errichtung eines Walzwerkes war unter diesen Bedingungen nicht zu denken.
    Zwecks weiterer Kapitalerschließung gründeten die Eigentümer der Haßlinghauser Hütte im März 1856 den "Berg- und Hütten- Aktienverein Neuschottland" mit Hauptsitz in Dortmund. Bereits wenige Tage nach der Emission waren sämtliche Aktien im Wert von zwei Millionen Talern gezeichnet, ohne daß das Unternehmen bereits produziert hätte. Auch die von der Familie Harkort erworbenen Eisensteinfelder waren noch nicht bezahlt. Die damaligen Aktieninvestoren waren in erster Linie ostelbische Junker, Berliner Rentiers und Finanzkapital aus dem Frankfurt- Darmstädter Raum. Mit dem im Mai 1856 in Betrieb genommenen Hochofen in Haßlinghausen war zugleich der modernste seiner Art in Form einer modularen Leichtbaukonstruktion entstanden. "Haßlinghausen" galt zu dieser Zeit in den Kolumnen der überregionalen Zeitungen als Synonym für Fortschritt in der industriellen Eisenverhüttung.
    Die Geschichte der Haßlinghauser Hütte wurde nicht nur von herausragenden Persönlichkeiten geprägt, deren Wirken das Industriezeitalter begründete. Es war gleichzeitig auch die Zeit tiefgreifender sozialer und kultureller Umwälzungen, die von den "einfachen Menschen" mitgetragen wurden. Bis in die 1860er Jahre hinein bildeten belgische Arbeiter, meist Wallonen aus der Umgebung Lüttichs, in Haßlinghausen das Rückgrat der Arbeiter an den Hochöfen und Koksbatterien, so daß Französisch für lange Jahre an den Öfen die nicht unübliche "Amtssprache" gewesen sein dürfte. Wallonische Kinder besuchten die Elementarschulen im Ort neben Siegerländern, Hessen, Württembergern und den einheimischen Westfalen. Trotz dieser Zuwanderung rekrutierte sich ca. die Hälfte der Belegschaft aus Familien, die bereits lange vor der Gründung der Hütte in den Ämtern Haßlinghausen und Sprockhövel ansässig gewesen waren. Auch viele der "Zugereisten" hatten sich bereits vorher in der näheren Umgebung niedergelassen, so im Tal der Wupper. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen für Arbeiter dieser Jahre waren hart, zumal oft Löhne gezahlt wurden, die kaum das Existenzminimum abdeckten. Die Arbeiter fuhren Zwölfstundenschichten und unterlagen permanenter Unfallgefahr und den Gefahren der giftigen Abgase aus den Hochöfen und Koksbatterien; auch galten die Haßlinghäuser Wohnverhältnisse dieser Zeit für Arbeiterfamilien als katastrophal. In der nur wenige Häuser umfassenden Werkssiedlung dürften damals um die zweihundert Menschen gewohnt haben.
    Sowohl der rapide technische Fortschritt als auch die krisenhafte wirtschaftliche Entwicklung, die in der "Gründerkrise" der 1870er Jahre kulminieren sollte, verursachten eine tiefgreifende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse Haßlinghausens. So verschwanden Ende der 1860er Jahre zunächst die Namen der belgischen Arbeiter aus den Melderegistern, bedingt durch die Erfindung der "Schlackenform", durch die die Arbeit der besser bezahlten belgischen Spezialisten weitgehend überflüssig wurde. Nun konnten auch weniger erfahrene Arbeiter nach relativ kurzer Anlernzeit die deutlich vereinfachten Verrichtungen am Hochofen ausführen und wurden dementsprechend auch schlechter bezahlt. Betraf diese Entwicklung noch eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Hüttenspezialisten , so geriet die Arbeitswelt in Haßlinghausen mit der endgültigen Schließung der Hütte im Jahre 1875 völlig aus den Fugen. Man darf davon ausgehen, daß zu diesem Zeitpunkt rund ein Drittel der Bevölkerung von Sprockhövel und Haßlinghausen von der Produktion auf der Hütte wirtschaftlich abhängig war. In den darauffolgenden Monaten verließen schätzungsweise 25 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung die Amtsbezirke Sprockhövel und Haßlinghausen, vornehmlich in Richtung nördliches Ruhrrevier. Mit Beginn der Gründerkrise hatte sich, bedingt durch Massenentlassungen in der Montanindustrie, ein ganzes Heer von Nichtseßhaften gebildet, das in der Größenordnung einer Großstadt für viele Jahre zwischen Duisburg und Dortmund auf der Suche nach Arbeit und einem menschenwürdigen Leben hin- und hervagabundierte.
    Mit der Schließung der Haßlinghauser Hütte waren gleichzeitig auch sämtliche Eisenerzzechen der Region geschlossen worden, so daß die Kohlenzechen rund zwei Drittel ihrer Belegschaften entließen und die Löhne der noch verbliebenen Bergleute um mehr als ein Drittel sanken, bis schließlich Ende der 1870er Jahre im Amt Sprockhövel der Bergbau für rund zwanzig Jahre ganz eingestellt wurde. Mit Blick auf den recht breit gestreuten, jedoch wenig ertragreichen bäuerlichen Grundbesitz setzten die Behörden in diesem Zeitrahmen nur noch darauf, daß Mißernten ausblieben und es den Menschen gelänge, sich per Selbstversorgung über Wasser zu halten.

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    Dienstag, 16. Juli 2024, 16:23

    Haßlinghausen und seine Beziehung zur Wittener Hauptkohlenstraße

    Die sogenannte "Wittener Hauptkohlenstraße" über Haßlinghausen nach Elberfeld (später Wuppertal- Elberfeld) wurde bereits in den 1830er Jahren als "Kunststraße" ausgebaut, d.h. mit einer Steinpackung befestigt. Sie löste damit den alten Kohlenweg ab, der in der Region Witten etwas weiter westlich verlief. Die Kunststraße begann bei der "Wittener Schiffahrt" und verlief über Bommern, Hiddinghausen, Haßlinghausen bis Elberfeld. Zu ihrer Zeit im 19. Jahrhundert galt sie als eine der am stärksten befahrenen Straßen im Königreich Preußen, und auf ihr wurden durchschnittlich rund 750 Tonnen Kohle täglich in die Industriezentren des Bergischen Landes transportiert. Durch ihre Steinbefestigung und eher mäßige Steigungen bot diese Straße hervorragende Bedingungen für den Kohletransport mit großen Pferdekarren und hob sich damit von den übrigen "Kohlepfaden" deutlich ab. Die frühen Zechen der südlichen Ruhrperipherie, die im Einzugsbereich dieser Straße lagen, profitierten bis zur Ablösung dieser Route durch die Eisenbahn enorm von ihr und wiesen oft starke Umsatzsteigerungen auf. Für die Zechen im nahegelegenen Muttental brachte die Kohlenstraße vor allem deswegen einen großen Nutzen, weil man zur gleichen Zeit eine Pferdebahn durch das Muttental bis an die Wittener Kohlenstraße führte, von wo aus die Kohle dann auf Pferdekarren weitertransportiert wurde.